Jede Kinderlähmungsinfektion hinterlässt bleibende Schäden in Gehirn und Rückenmark, deren Folgen äußerlich nicht immer sichtbar sind, weil bis zu 50% Nervenzellverlust durch die verbleibenden Nervenzellen ausgeglichen werden. Die Bereiche von Gefühl, geistiger Fähigkeit und Sinneswahrnehmung sind davon nicht betroffen. Die noch vorhandenen Nervenzellen und Muskeln erbringen teilweise so bereits unter Normalbedingungen das bis zu Zehnfache an Leistung.
Etw 80 % aller Fälle mit Lähmungsfolgen erkranken nach durchschnittlich 35 Jahren an der Spätfolge Post-Polio-Syndrom (PPS). Es handelt sich dabei um eine eigenständige schwerwiegende chronische Erkrankung. Sie ist das Resultat von unaufhaltsam fortschreitenden Untergängen vorgeschädigter und gesunder Nervenzellen infolge chronischer relativer wie absoluter Überlastung, wobei Normalbelastung in der Regel bereits eine Überlastung ist. Da es sich um einen Strukturschaden im Nervensystem handelt, ist sie nicht heilbar. In der Konsequenz stehen ein Vermeiden weiterer Überlastung und eine angepasste Physiotherapie im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen.
Das Post Polio Syndrom betrifft das Nerv-Muskel-System mit neuerlichen Schwächen und Lähmungen sowie Muskelschwund auch bei der Kinderlähmungserkrankung scheinbar nicht befallener Bereiche, wozu auch die Atmung gehört, weiterhin das Nerv-Muskel-System und das Zentralnervensystem mit ungewohnten schweren Erschöpfungszuständen, Atemregulationsstörungen, Unterbeatmung, Herz-Kreislauf-Regulationsstörungen, Temperatur- Regulationsstörungen, Muskel- und/oder Gelenkschmerzen, Schmerz-Regulationsstörungen und so weiter.
Das bedeutet für die Betroffenen eine zunehmende Funktionseinbuße und damit verbunden eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität.
Dr. med. Peter Brauer (Mediziner, Polio- + PPS-Betroffener)
Mit freundlicher Genehmigung des Autors als Auszug aus seinem Buch "Aspekte des Post-Polio-Syndroms".